AOL laufen die Blogger davon
Von Bernd Kling am 23. Februar 2011
Zwei Engadget-Redakteure suchen das Weite in nur zwei Tagen
Für hohe Millionensummen kaufte sich AOL bekannte Blogs zusammen wie Engadget, Techcrunch und als Krönung noch die Huffington Post, die mit einer Vielzahl weitgehend unbezahlter Blogautoren richtig Traffic macht. Der Plan ist, aus dem einstigen Einwahl-Provider („ich bin drin“) einen Anbieter von Medieninhalten zu machen. Die Methoden aber schrecken offenbar gerade die besten Mitarbeiter ab.
SEO prägt den AOL Way
Anfang Februar wurde der Masterplan geleakt, mit dem AOL-CEO Tim Armstrong den Laden ganz nach vorne bringen will, bevor die letzten zahlenden Einwahl-Kunden bemerken, dass sie die Dienste von AOL gar nicht mehr benötigen, um ihre E-Mails abzurufen. Die Vorgaben unter der Überschrift „The AOL Way“ hörten sich für viele Kritiker nach einer Contentfarm an, bei der nicht mehr inhaltliche Qualität, sondern nur noch der mit SEO-Einflüssen erzeugte Traffic zählt:
Die Seitenabrufe (Page Views) sind von 1.500 auf 7.000 je Artikel zu steigern. Der Anteil von Videobeiträgen ist von 4 Prozent auf 70 Prozent aller Beiträge zu befördern. 95 Prozent aller Geschichten müssen für Suchmaschinen optimiert sein, die Themen werden den „Autoren“ per Software nahegelegt. Bei der Auswahl ihrer Storys berücksichtigen müssen die Redakteure die Potenziale für Traffic und Einnahmen ebenso wie die anfallende Bearbeitungszeit. AOL erwartet von den Mitarbeitern in den hauseigenen Schreibbüros, fünf bis zehn Geschichten am Tag zu schreiben.
Schreiberflotten unterwegs für < 5 Euro
Nicht, dass solche Praktiken in den Schreiberflotten in diesem unserem Lande nicht schon längst üblich wären. Hier läuft es durchaus ähnlich mit Vorgaben für die prozentuale Keyworddichte nach SEO-Art und das zu Honoraren, die nicht einmal fünf Euro je Posting erreichen müssen. Bei AOL scheint es jedoch zumindest noch so etwas wie ein Standesbewusstsein der A-Blogger zu geben, die nicht alles mit sich machen lassen.
Schon nach der Enthüllung des neuen AOL-Weges ließ sich ein Mitarbeiter zitieren mit: „AOL is the most f—–up, bull—t company on earth, the worst career move I’ve ever made.“
An diesem Wochenende standen zwei führende Redakteure des Gadgetblogs Engadget zu ihren Worten. Zuerst erklärte Paul Miller, mit fünfjähriger Mitarbeit bereits ein Veteran des Blogs, seinen Abschied: „Ich wünschte, ich könnte das für immer machen, aber leider gehört Engadget AOL, und AOL hat sich als ein unwilliger Partner erwiesen in der Entwicklung dieser Site.“
„Kein guter Journalismus und nicht einmal gute Unterhaltung“
AOL sieht laut Miller Inhalte nur als austauschbare Ware, die es gegen Anzeigen verkaufen kann: „Das kann einen geschäftlichen Sinn ergeben (obwohl ich es bezweifle), aber es fördert keinen guten Journalismus und nicht einmal gute Unterhaltung …“
Der Beste der Besten gehe, twitterte ihm Engadget-Chef Joshua Topolsky hinterher. Einen Tag später hatte er schon wieder Erklärungsbedarf, weil mit Ross Miller ein weiterer Engadget-Redakteur seinen Abschied verkündete. Wiederum per Twitter erklärte Topolsky, Engadget sei nicht etwa dem „AOL Way“ unterworfen: „Ich kann es nicht deutlicher sagen – hier geschieht das nicht.“
Der AOL Way war nicht der einzige Grund für seinen Abgang von Engadget sowie AOL / Weblogs, Inc., bestätigte auch Ross Miller: „Der AOL Way ist nicht der einzige Grund, aber es ist sicher ein Katalysator, ein Symptom für Besorgnisse, die ich schon einige Zeit hege. Ich mache mir Gedanken um die langfristige Überlebensfähigkeit dessen, was ich als künftiges Geschäftsmodell wahrnehme. Wie es unsere Marke betrifft und wie viel Kontrolle wir darüber noch haben. Ob wir Begabungen fördern können, ohne sie zu verbrennen. Ob wir die Mittel erhalten, um unsere Ideen weiter zu entwickeln.“
Was hier sichtbar wird, ist nicht nur ein Problem von AOL oder Engadget.
Screenshot: Twitter
(zuerst veröffentlicht in TecZilla)