Apple: Die Zensur geht weiter
Von Bernd Kling am 27. Mai 2010
Die geschlossene Welt des App Store führt links und rechts zu immer neuen Zensuraffären – Karikaturen über den Sportsmann Tiger Woods und seine Affären darf es schon gar nicht geben
Das Modell der Kontrolle führt sich laufend selbst vor. Ein Hersteller von Unterhaltungselektronik maßt sich an, über eingereichte Anwendungen und ihre Inhalte zu entscheiden. Mal trifft es „unanständige“ Begriffe in einem Wörterbuch, mal harmlose Karikaturen. Es scheint nicht einmal eine Linie zu haben außer der, alles draußen zu halten, was unter Umständen empören könnte. Apple versucht sich an einer künstlichen Saubermann-Welt für das Mobiltelefon iPhone und das Medientablet iPad.
Da verbieten sich natürlich auch harte politische Auseinandersetzungen. Es traf einen Informatikstudenten, der sich mit seiner App iSinglePayer für eine konsequente Reform des US-Gesundheitswesens nach kanadischem Vorbild einsetzte, eine in den USA als weit links geltende Position, von Apple umgehend blockiert als „politisch belastet“.
Inzwischen traf es die iPhone-App eines republikanischen Kandidaten in den USA, der mit harter Polemik in die Vorwahlen gegen den demokratischen Kongressabgeordneten Henry A. Waxmann zieht. Unter anderem warf er seinem Kontrahenten „durchgeknallte Regulierung im Sowjetstil vor“, mit der er „Farmen im Familienbesitz zu vernichten“ suche. Eine politische Rhetorik, wie sie im Land des Tea-Party-Aktivismus nicht eben ungewöhnlich und ausdrücklich durch die US-Verfassung geschützt ist.
Wie „links“ ist Apple?
Es löste wie üblich Alarmsirenen aus bei den vielbeschäftigten Apple-Zensoren, sie ließen die politischen Meinungsäußerungen nicht durch. Kandidat Ari David wiederum nutzte es, um in seiner Website zurückzuschlagen und Apple ausgesprochen liberaler politischer Neigungen (übersetzt sich in den USA mit links) zu verdächtigen. Er warf Apple vor, reihenweise Anwendungen durchzuwinken, die etwa christliche Werte verspotten oder den „mörderischen Verbrecher“ Che Guevara verherrlichen. Aus seiner Rechtsaußen-Sicht zensiert Apple gezielt von links:
„Mit all dem, was hier vorgeht, können wir wohl klar ein sich entwickelndes Muster sehen. Wenn du ein Linker bist, ein Kommunist, ein radikaler Muslim, ein Umweltstaats-Grüner oder ein Kandidat der Demokratischen Partei mit sozialistischen / staatsdirigistischen Neigungen, die du weit verbreiten willst, dann geh ran und mach was draus für den iTunes App Store. Aber wenn du ein Konservativer bist, der gefährliche Vorstellungen hat wie die, Amerika zu lieben, nur einen barmherzigen Gott anzubeten, oder unsere Truppen unterstützt, wenn sie in den Krieg ziehen gegen die Feinde der freien Menschen, dann sagt Apple, du brauchst es gar nicht erst einzureichen.“
Könnte Apple daraus lernen, dass man es mit medialer Bevormundung niemals allen Recht machen kann, dass die Genehmigungspflicht für Anwendungen und Inhalte zu immer tieferer Verstrickung in Zensurprobleme führt? Vermutlich nicht, aber auch in diesem Fall reichte die öffentliche Aufmerksamkeit, um diese eine Entscheidung zu korrigieren. Zunächst beharrte Apple zwar darauf, die App sei „unangemessen“, machte aber einen Tag später eine Kehrtwende und begründete sie sogar: „Während wir keine Anwendungen zulassen, die einzelne angreifen, ging es bei diese Anwendung nicht in erster Linie darum.“
Nicht über Tiger lachen – er könnte es übel nehmen
Als persönliche Angriffe sieht Apple offenbar auch Karikaturen von Daryl Cagle und anderen Zeichnern über den Profi-Golfspieler Tiger Woods, der nicht nur mit sportlichen Leistungen in der Öffentlichkeit steht. Ihnen wurde der Zugang zu iPhone und iPad verwehrt, während eine App mit Barack-Obama-Karikaturen der gleichen Zeichner durchkam. Daryl Cagle erhielt den Ablehnungsbescheid durch das „App Review Team“ aus dem Medienhaus Apple:
„Wir haben Tiger Woods Cartoons begutachtet und entschieden, dass wir diese Version Ihrer iPhone-Anwendung nicht im App Store veröffentlichen können, weil sie Inhalte enthält, die Personen des öffentlichen Lebens lächerlich machen, und Abschnitt 3.3.17 der iPhone-Entwicklervereinbarung verletzt, in der es heißt:
‚Anwendungen können abgelehnt werden, wenn sie Inhalte oder Materialien jeglicher Art enthalten (Texte, Grafiken, Bilder, Fotografien, Sounds etc.), die nach Apples begründeter Einschätzung zu beanstanden sind wie beispielsweise Materialien, die als obszön, pornographisch oder verleumderisch betrachtet werden können.'“
Karikaturen über einen Promisportler nicht erlaubt, weil er eine Person des öffentlichen Lebens ist und nicht lächerlich gemacht werden darf?
Doch, Apple meint das ernst. Wie Daryl Cagle in seinem Blog berichtet, bekam er einen Anruf von einem Apple-Vertreter, der ihm seine Grenzen aufzeigte. Man kenne seine Karikaturen, auch seien einzelne Tiger-Karikaturen zulässig in der gemischten Cartoon-App „msnbc.com Cartoons“. Die ganz Tiger Woods gewidmete Karikaturensammlung aber gehe zu weit und Apple bleibe der Haltung verpflichtet, dass Personen des öffentlichen Lebens nicht lächerlich gemacht werden dürfen.
Selbst bei seiner App mit MSNBC-Karikaturen – immerhin die Website eines landesweiten TV-Senders – taten sich Apples Prüfer erstaunlich schwer. Sie benötigten für ihre Begutachtung drei Monate – eine wirklich lange Zeit für aktuelle politische Karikaturen. Ihre Genehmigung sei eine schwierige Entscheidung für sie gewesen, erfuhr der Zeichner.
Kein iPad für mich
Wenn Apple nicht von der Zensur lassen kann, auch weiterhin Medieninhalte kontrolliert und zurückweist, kann das iPad nicht ernsthaft als Medientablet durchgehen. Auch wenn Verleger noch immer davon schwärmen mögen und auf die digitale Wiederbelebung ihrer Abonnementmodelle hoffen, ein Medientablet mit integrierter Vorzensur ist absolut unakzeptabel. Ganz unabhängig davon, ob es um links, rechts oder Sportler geht.
Abbildung: Cagle Post / Cartoon von Randy Bish aus der Pittsburgh Tribune-Review – dank Apple nicht zu sehen in der abgelehnten iPhone-App „Tiger Woods Cartoons“