Dürfen Zeitungen von Bloggern klauen?
Von Bernd Kling am 30. November 2009 1 Kommentar

Peinlich, Tages-Anzeiger?
Einer ausführlichen Textanalyse bedarf es nicht, um in einem heutigen Beitrag des Schweizer Tages-Anzeiger die verkürzte Wiedergabe eines Beitrags zu vermuten, der gestern in meinem Technik-Blog TecZilla erschien. Zwar fielen in der Überschrift zwei ganze Wörter weg (Abbildung), wanderten in den Untertitel. Schon der erste Satz aber ist völlig identisch.
Es folgen identische („wegen erwartungsgemäß respektloser Witze“) bis sehr nahe Formulierungen (der Tages-Anzeiger lässt Microsoft die „Notbremse“ statt die „Reißleine“ ziehen). Zum runden Abschluss noch ein vollständig identischer Satz, der nach allen Gesetzen der Wahrscheinlichkeit erst recht nicht eigenen Eingebungen dieser Schweizer „Journalisten“ zu verdanken sein kann: „Die sind sogar unterhaltsam und enden höchstens mal mit ‚Leck deinen eigenen‘ – gefolgt von einem Pfeifton.“
Das alles ist zu Unrecht gekennzeichnet mit „© Tamedia AG 2009 Alle Rechte vorbehalten“. Als echte Eigenleistung steuert die Zeitung noch Erklärungen bei, die sie ihrer Leserschaft schuldig zu sein meint. Sie vertraut offenbar nicht auf deren hinreichende Englischkenntnisse und gibt noch eine kurze Inhaltsangabe zum ersten Werbeclip Microsofts, der gleich daneben zu besichtigen ist.

Google News zeigen und erkennen verblüffende Übereinstimmungen
Die Übernahmen durch den Tages-Anzeiger aber sind nicht etwa als Zitate gekennzeichnet, sondern erscheinen als eigene Leistung. Wenigstens eine freundliche Verlinkung zurück zur offensichtlich benutzten Quelle? Fehlanzeige, der anonyme (Um-)Schreiber lässt es einfach als sein „Werk“ erscheinen. Auch die US-Quellen der Nachricht sind, wie bei uns selbstverständlich, bei dieser Schweizer Qualitätszeitung nicht verlinkt.
Dazu passt, dass der Tages-Anzeiger die bei Microsoft über YouTube veröffentlichten Videoclips in einem eigenen Player einbindet. So können die Leser nicht etwa direkt zu YouTube und weiteren Clips gelangen, der Weg ins offene Web bleibt auch auf diesem Weg versperrt. Diese Methode verabscheut die Offenheit, für die das Internet konzipiert wurde. Sie möchte Leser auch mit den Mitteln (sagen wir mal schweizerisch charmant, der Imitation) einfangen, aber den Lesern niemals die Freiheit lassen, ihre eigenen Wege zu gehen.
„Systematisch den Rechtsbruch verfolgen, der täglich im Internet stattfindet“
Eine Lappalie und keiner besonderen Erwähnung wert, auch wenn das vielerorts alltägliche Praxis ist? Richtig ärgerlich wird es in meinen Augen erst durch die vorlauten Äußerungen von Verlagschefs, die wider besseres Wissen andere Online-Publikationen und insbesondere Blogger explizit unter den Generalverdacht des „Diebstahls“ stellen.
Wie etwa von Springer-Konzernchef Mathias Döpfner, der gebetsmühlenartig vom Gesetzgeber maßgeschneiderte Leistungsschutzrechte für seine Publikationen abfordert, weil angeblich deren „Inhalte geklaut werden“. Die brauche er dringend, um „systematisch den massiven Rechtsbruch zu verfolgen, der täglich im Internet stattfindet“. Oder Medienmogul Rupert Murdoch, der die britische BBC wegen Copyright verklagen will, denn die Rundfunkanstalt habe „das meiste von ihrem Zeug aus meinen Zeitungen gestohlen“. Hubert Burda schließlich fühlt sich schon schleichend enteignet durch Suchmaschinen, wenn sie nur Überschriften verlinken und vielleicht einzelne Zeilen zitieren.
Für das von Springer, Burda & Co geforderte Leistungsschutzrecht für Presseverlage hat die gerade angetretene Regierung mehr als ein offenes Ohr. Es ist notwendig – so sagt es der Vorsitzende des Verbandes der Zeitungsverlage Norddeutschlands – „um Online-Inhalte vor der Auswertung durch andere Anbieter zu schützen“.
Vorsicht, liebe Verleger: Das Ding könnte nach hinten losgehen. Und viel peinlicher werden als die Werbung von Microsoft, um die es hier ging.
(bk)
Zum Vergleich:
TecZilla: Werbung für Windows 7, die Microsoft zu peinlich war
Tages-Anzeiger Online: Werbung, die Microsoft zu peinlich war
Screenshots: Tages-Anzeiger Online, Google News
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