Tagesschau bingt (und bloggt)
Von Bernd Kling am 4. Juni 2009 1 Kommentar
Die Tagesschau hat einen Blog „hinter den Nachrichten“. Darin erklärt uns Dr. Gniffke (der heißt wirklich so), warum es zwei Konferenzen bis in den Nachmittag brauchte für die schwerwiegende Entscheidung, ob in der Tagesschau über Microsofts neue Suchmaschine Bing berichtet werden darf.
Das lässt bei mir mal wieder die Frage anklingen, wofür eigentlich GEZ-Gebühren zu bezahlen sind, aber das ist ein anderes Thema. Bedenken hatten die Tagesschau-Macher angeblich, weil „so ein Stück immer werblichen Charakter“ habe. Die Bedenken wischten sie schließlich ganz betroffen weg: „Erstens die Betroffenheit: In Deutschland, so schätze ich mal, nutzen mehr Menschen eine Suchmaschine (vorwiegend Google), als am Sonntag zur Europawahl gehen.“
Als zweite Erkenntnis erschloss sich ihnen die „wirtschaftliche Dimension: Microsoft und Google sind Global Player, die um diesen Milliardenmarkt kämpfen.“ Und drittens erkannten sie „die Macht von Suchmaschinen“, denn „die Algorithmen von Suchmaschinen entscheiden über Erfolg und Misserfolg von Internetangeboten und damit von Unternehmen“.
Alles gar nicht so falsch, aber dafür müssen die Konferenzen abhalten? Nach so gründlicher Rechtfertigung für das Wagnis hatten sie noch immer Probleme, den Schritt aus ihrer ängstlich eingeübten Politik-Proporz-Berichterstattung zu wagen. Ausdrücklich weist Tagesschau-Blogger Dr. Kai Gniffke darauf hin, man habe der Vollständigkeit halber „neben Microsoft auch noch den unmittelbaren Google-Verfolger yahoo genannt und die Verteilung der Marktanteile aufgezeigt“. Eine Gratwanderung sei es schließlich im Beitrag um 20 Uhr gewesen, „ohne Partei dafür oder dagegen zu ergreifen“:
„Aber was uns in der Politik gelingt, müssen wir auch in einem solchen Fall hinkriegen. Ich fand, unsere Autorin hat das gut gewuppt.“
Wie sie das gewuppt hat, lässt sich hier begutachten.
Mir knallte nach Download der als „H264-Video“ angebotenen Sendung und dem Versuch, die Datei mit Quicktime abzuspielen, Windows Vista mit einem Blue Screen of Death weg. Und nein, ich will jetzt gar nicht wissen, an wem oder was das lag.
Nach dem Neustart klappte es mit Itunes. Der unsicher wirkende Sprecher der Tagesschau brachte nur „Marktteil“ statt Marktanteil heraus. Es folgten Plattitüden wie „Experten sprechen vom Kampf der Giganten“. Dazu durften Experten ähnlich belanglose Sätze abliefern. Zur Herstellung von Ausgewogenheit durfte zum guten Schluss dann auch noch eine Sprecherin von Microsoft ganz Ähnliches sagen:
„Für uns ist es wichtig, Marktanteile zu gewinnen. Wir glauben, dass Bing ein Sucherlebnis ist für den Konsumenten, das sehr attraktiv ist.“
Noch uninformierter waren die dazu abgespulten Bilder. Sie zeigten Microsofts alte Suchmaschine Live Search, die in Deutschland einfach zu „Bing Beta“ umbenannt wurde. Keine Erwähnung, dass sie bislang nichts mit der neuen Suchmaschine zu tun hat, die nur durch eine veränderte Ländereinstellung auf „USA – Englisch“ zu erreichen ist. Hatten ihnen das die befragten „Experten“ nicht verraten?
Und wundert es noch jemanden außer Herrn Dr. Kai Gniffke, dass die Tagesschau Zuschauer verliert, insbesondere jüngere?
(bk)
Zum Thema im Web:
Blogs und die mit Werbung vollgestopften Privatmedien haben eben den Vorteil, dass sie sich Meinung und Polemik leisten können. Dort kann man schnell mal eine Jubelmeldung rausschießen, ohne groß zu recherchieren und an die Wirkung zu denken.
Dass die Tagesschau Zuschauer verliert, insbesondere jüngere, bezweifle ich. Sie verliert sie im klassischen Fernsehen, ja, bei den Quotenmessungen (die im Übrigen ja auch nicht ganz unumstritten sind) werden aber Video-on-demand-Dienste im Internet überhaupt nicht berücksichtigt.