Tatort-Affäre: „Welt“ erfindet Mitwisser
Von Bernd Kling am 29. August 2009
Die Fernsehspielchefin des NDR wurde wegen Vetternwirtschaft gefeuert, nachdem ihr Ehemann unter Pseudonym „Tatort“-Drehbücher schreiben und dafür kassieren durfte. Aufgedeckt wurde der Skandal durch die Süddeutsche Zeitung. Springers Welt setzt nach und beschuldigt einen angesehenen Regisseur als Mitwisser – der tatsächlich zur Aufklärung der Affäre beitrug.
Aus der Serie: Qualitätsjournalismus aus dem Springer-Hochhaus
Den erfundenen Autor hatte Doris J. Heinze, als Fernsehspielchefin verantwortlich für die norddeutschen „Tatort“-Kommissare und „Polizeiruf“-Ermittler, als Niklas Becker eingeführt. Sie schrieb ihm eine Vita mit entfernten Wohnsitzen zu, wie sie in den ARD-Presseheften öffentlich gemacht wurde: „Seit 1986 lebt er in Amsterdam und Montreal, wo er unter anderem als Script-Doctor tätig war.“
Der Phantom-Autor, dessen Honorare in der Familie Heinze blieben, war natürlich nie erreichbar, wenn man ihn mal brauchte. Das fiel insbesondere Regisseuren auf, die mit seinen Werken nicht so richtig zufrieden waren wie etwa Torsten C. Fischer. In der Süddeutschen Zeitung berichten N. Richter und H. Leyendecker:
Ähnliches war dem Regisseur Thorsten C. Fischer schon vor Jahren widerfahren. Als er den Film „Katzenzungen“ drehte, fand er das Drehbuch des ihm unbekannten Autoren Niklas Becker miserabel, schrieb es völlig um. Kein Satz blieb. Das sei in Ordnung, versicherte Doris Heinze. Auch Fischer wollte mit dem Autoren reden, doch der war nie zu sprechen oder in Übersee verschollen.
Genau diesen Regisseur beschuldigt heute Springers „Die Welt“ der Mitwisserschaft:
Dass es dennoch Mitwisser gegeben haben muss, zeigt die Co-Autorenschaft beispielsweise des Regisseurs und Drehbuchautors Thorsten C. Fischer am TV-Film „Katzenzungen“ aus dem Jahr 2003, den er gemeinsam mit „Niklas Becker“ schrieb.
Zur Ermittlerin taugt die Welt-Detektivin Martina Goy offensichtlich nicht. Dennoch beschuldigt sie einen renommierten Regisseur öffentlich. Und es ist keine geringfügige Unterstellung, zumal bereits der Staatsanwalt ermittelt.
Hätte sie – das nennt sich übrigens Recherche – ihn oder auch andere dazu befragt, dann hätte sich auch ihr erschließen müssen, dass „Mitwisser“ Fischer das enttäuschende Drehbuch des ihm unbekannten Phantom-Autors komplett umschrieb und nur deshalb als „Co-Autor“ genannt wurde. Wie nachzulesen in der Süddeutschen, die es besser machte.
Stattdessen setzt sie noch eins drauf und macht Regisseur Fischer auch noch zum Vorwurf, dass er einmal lobend von der Fernsehspielchefin erwähnt wurde:
Pikant dabei: Fischer war zuvor von Doris J. Heinze in einem Brancheninterview als Talent gelobt worden. „Wir haben insbesondere norddeutsche Talente immer gefördert und sehr früh darauf hingearbeitet, ihre Filme primetimefähig zu machen“, sagte sie dort. „Das ist häufiger als gedacht auch gelungen. Angelina Maccarone, Hans-Erich Vieth und Thorsten C. Fischer sind nur einige Beispiele.“
Zu viele schlechte Tatort-Folgen gesehen und damit jede Fähigkeit zur logischen Deduktion verloren? Sind es solche recherchefreie Fehlleistungen, mit denen Springer-Chef Mathias Döpfner seine Forderung nach besonderen Leistungsschutzrechten für deutsche Verlagskonzerne und einer Verwertungsgesellschaft nach GEMA-Vorbild begründet? In diesem Zusammenhang fabulierte er von „gut erzählten, von Profis recherchierten Geschichten“.
Gut erzählt? Nicht recherchiert, und nicht mal gut erfunden.
(bk)
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