Wenn die Satire zur Nachricht wird

Von am 17. November 2008 2 Kommentare 

Wie überzogen muss eigentlich eine Satire sein, damit sich nicht jemand findet, der sie ganz ernsthaft als Nachricht in Verkehr bringt?

Ein Vertreter der Musikindustrie fordert ein 25 Milliarden schweres Rettungspaket der US-Regierung – nicht zuletzt wegen ihrer tragenden Rolle für die nationale Sicherheit. Eine gelungene Satire vom Publisher eines Indie-Labels. Doch wie nicht anders zu erwarten – manche nahmen sie für bare Münze.

Zum Beispiel die Gutgläubigen von Cross Rhythms, einem christlichen Radiosender in Großbritannien. Oder die Jungs von der Filesharer-Newssite P2pnet, weil es ihnen offenbar so gut ins Feindbild der „Big 4 record labels“ passte. Den Vogel aber schoss das deutsche „Windows Online Magazin“ Winfuture ab, das die Satire zu einer so ausführlichen Meldung umformulierte, dass gleich zwei Seiten daraus wurden. Da dem Schreiber die humoristische Intention offenbar vollständig entgangen war, tat er sein Bestes, um daraus eine Nachricht im umständlichen und drögen Stil einer Agenturmeldung zu produzieren.

Die journalistische Wertschöpfungskette führte von hier weiter zu Fefes Blog. Der meinte zwar, selbst er könne diese Meldung kaum glauben, glaubte dann aber doch gerne und gab die einzelnen „Forderungen“ Silvermans mit wütenden Kommentaren wie „WTF?!?“ wieder und schloss erschöpft mit der fast schon wieder satirereifen Erkenntnis: „Wenn die das nicht ernst meinen würden, wäre das eine brilliante Satire.“ Ganz dicht dran, Fefe, ganz dicht.

(Update: Seine Leser, diese Spielverderber, haben’s Fefe inzwischen verraten. Die Schreiber von Winfuture hingegen haben noch nichts gemerkt – wie lange stehen die noch auf der Leitung?)

Wie lange wird sich die Satire als Nachricht noch halten?

Zugegeben, die Forderungen Tommy Silvermans, als „Kommentar“ veröffentlicht in der Website der A2IM (American Association of Independent Music) klangen vordergründig vertraut. Absurde Forderungen von Interessenvertretern hören wir täglich, aber das war dann doch voll krass:

  • Wenn die Finanzbranche und die Autobauer mit 700 Milliarden $ bzw. 25 Milliarden $ abgesichert werden, dann sollten doch auch 25 Milliarden $ für die notleidende Musikindustrie drin sein. Wenn Motor City geholfen wird, warum nicht auch Motown?
  • Ein starkes Musik-Business ist eine Frage der nationalen Sicherheit, denn der Rock & Roll hat mehr für den Fall der Sowjetunion bewirkt als die CIA. Andere Länder hätscheln ihr Musik-Business, aber nur eines der vier großen US-Labels ist ein amerikanisches Unternehmen. Die Regierung sollte doch wenigstens die Elvis-Presley-Rechte von den Japanern zurückkaufen.
  • Nützlich wäre auch eine FCC-Regulierung, damit die Radiosender mindestens 50 Prozent amerikanischer Songs spielen, davon mindestens 50 Prozent Künstler, die noch auf ihrem Weg sind, und mindestens 30 Prozent Independent-Künstler.
  • Dem Auslandssender „Voice of America“ stünde ein von 160 auf 300 Millionen $ erhöhtes Budget zu. Außerdem sollen Scott Shannon und Barry Mayo den Sender leiten, um die Hörerzahlen von 94 Millionen auf 2 Milliarden zu puschen und amerikanische Musik zur Beeinflussung fremder Kulturen einzusetzen.
  • Um das Überangebot an Alben einzudämmen, möge die Regierung 20 Prozent der nicht abgesetzten CDs aufkaufen, sie an Entwicklungsländer abgeben und damit den amerikanischen Einfluss verbreiten. So läuft es bei der Agrarwirtschaft doch auch.
  • Die Regierung sollte also ähnlich wie bei der Autoindustrie Kreditgarantien in Höhe von 25 Milliarden $ finanzieren. Für die Entwicklung von Künstlern und Marketing, die Umstellung auf sowie Anpassung an neue Technologien während einer Übergangsperiode. Als Bedingung wären die Gehälter, Bonuszahlungen und Abfindungen für die Spitzenmanager zu begrenzen.
  • Ganz klar, die Musikindustrie ist reif für einen Rettungsplan der Regierung. Ein starkes amerikanisches Musik-Business und starke amerikanische Musik fördert das Verbrauchervertrauen, das im Grunde die Finanzmärkte und den amerikanischen Lebensstandard antreibt.
  • Die USA geben jährlich 695 Milliarden $ für den Verteidigungshaushalt aus. Da wäre es doch ein Schnäppchen, die amerikanische Musikindustrie zu unterstützen und die nationale sowie globale Sicherheit zu stabilisieren. Amerika braucht das schöpferische musikalische Genie der Plattenindustrie mehr denn je, um die Welt mit Sound und Seele Amerikas zu infizieren.

Da schrillen die Satire-Signale, wenn man nicht Augen und Ohren verschließt. Die Nonsens-Argumente und schrägen Personalien hätten selbst einem mäßigen Kenner der amerikanischen Kultur auffallen müssen. Und dann noch der Verfasser selbst: Tommy Silverman ist der Gründer / Inhaber von Tommy Boy Records.

Noch Zweifel, dass es sich um eine Satire handelt? Nun ja, gebildeteren Ständen hätte schon die Überschrift zu denken gegeben: „A Modest Proposal for Government Intervention“. Andere hätten sich zumindest über die seltsame Formulierung wundern, ein wenig googlen und bei Wikipedia auf das Stichwort „A Modest Proposal“ stoßen können. Richtig, so beginnt die klassische Satire, die Jonathan Swift 1729 schrieb: „Bescheidener Vorschlag, wie man verhüten kann, dass die Kinder armer Leute in Irland ihren Eltern oder dem Land zur Last fallen, und wie sie der Allgemeinheit nutzbar gemacht werden können.“ In seiner bekanntesten Satire regte Swift an, die armen Kinder als Nahrung für reiche Gentlemen und Ladies zu verkaufen und damit Exportgewinne zu erzielen.

Liebe Nachrichtenschreiber und Blogger: Wenn ihr wieder mal auf „A Modest Proposal“ stoßen solltet – bitte gaaanz langsam ausatmen, nachdenken, googeln, nachdenken. Dann erst schreiben, oder – mein bescheidener Vorschlag – besser gar nicht.

Zumal es tatsächlich Leser gibt, die offenbar noch leichtgläubiger und beeinflussbarer sind. Wie zum Beispiel einer der 90 Kommentarverfasser, die ihre Spuren zu dieser „Nachricht“ bei Winfuture hinterließen. „Traumklang“ schrieb am 10. 11. 08 um 18:07:

„Als erstes mal der Name SILVERMAN Der Kerl bestätigt doch nur die These dass die Medienindustrie von Zionistenpropaganda durchsetzt ist. Nichts gegen seine Herkunft aber Seine Argumentation bestätigt doch schon sehr diese ganzen Verschwörungstheorien Oh man :-D“

Und das ist jetzt keine Satire …

(bk)

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Kommentare

2 Stellungnahmen zu “Wenn die Satire zur Nachricht wird”
  1. Basti sagt:

    Satire darf alles.

    Gerne auch irreführen.

    Das tue ich auch liebend gerne.

    Am schönsten ist es, wenn die Realität das dann noch toppt.

    Vielen Dank für den herrlichen Artikel.

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