Wepsig im Herbst
Von Bernd Kling am 20. Oktober 2008
Eigentlich ein später Biergartentag heute. Raus in die Sonne, ab in den Schleusenkrug. Der von mehr Wespen als Menschen besetzt ist.
Und wepsig sind die, wie zu erwarten, wenn der Sommer so gut wie vorbei ist. Ich habe größte Mühe, mein Bier zu verteidigen. Die Wespen scheinen mir keinen Bissen des Tagesgerichts zu gönnen. Ich brauche alles, was auf dem Tisch liegt, um sie wegzuwedeln.
Am Tisch nebenan zwei junge Mütter mit Kleinstkindern, die nicht weniger unter der Wespenplage leiden. Die eine erzählt der anderen ausführlich vom bislang einzigen Wespenstich ihres Lebens. Der sie in die Zunge traf. Und längere Zeit mit größeren Mengen Eis bekämpft werden musste.
Was mich nun sehr an meinen früheren Ko-Autor Georg Seeßlen erinnert (der inzwischen so viele Filmbücher geschrieben hat, dass er es sich gefallen lassen muss, als Filmhistoriker bezeichnet zu werden). Ihm kam eines dieser gelbgrünen Monster in den Hals und stach zu. Er hatte die Wespe mit einem kräftigen Schluck aus einer Flasche Bier eingesogen. Dass er nicht an der Schwellung im Hals erstickte, verdankte er dem telefonisch eingeholten Ratschlag eines Arztes: Zwiebeln aufschneiden, den rohen Zwiebelsaft in den Hals laufen lassen. Schmeckte vermutlich weniger gut als das Bier, könnte ihm aber das Leben gerettet haben. Man sieht doch immer wieder Schlagzeilen über ältere Damen, die im Ausflugscafé ein Stück Sahnetorte mit Wespe …
Den Trick mit dem Zwiebelsaft sollte man sich merken, für alle Fälle. Und immer schön ins Bierglas sehen, ob nicht eine Wespe drin zappelt, jedenfalls im Biergarten und ab Spätsommer.
Nicht viel weniger übel erging es meinem Onkel Eugen, der sich gleich mit einem ganzen Wespenschwarm anlegte. Das war damals in Stuttgart-Zuffenhausen, in der Baum- und Rosenschule des Großvaters, im ständigen und nie zu gewinnenden Krieg gegen die Wespen. In den Bäumen rund ums Haus hingen Flaschen, gefüllt mit Wasser, lockende Marmelade in die Flaschenhälse gestrichen. Das lockte Wespen tatsächlich in die Flaschen. Sie zappelten im Wasser, kamen aber nicht mehr raus, weil schon die nächsten Wespen eindrangen und sie unter das marmeladensüße Wasser drückten, bis dicke Schichten toter Wespen die Flaschen füllten.
Irgendwann kam mein Onkel auf die verzweifelte Idee, einen entscheidenden Schlag gegen die Wespenbrut zu führen. Er wollte eines ihrer Nester finden und ausräuchern in einem der Grundstücke, das „Am Masten“ genannt wurde und sich neben einer Bahnstrecke befand. Da standen nämlich hölzerne Masten, die er im Verdacht hatte, Wespen zu beherbergen. Mit einer Stange klopfte er einen nach dem anderen ab, um herauszufinden, in welchem sich das Nest befand.
Er fand es heraus. Der wepsig gemachte Wespenschwarm reagierte, schwärmte aus. Onkel nahm die Füße in die Hand. Schwarm verfolgte den rasenden Onkel Eugen wie in einem Horror-Film.
Schnitt. Abends saß Onkel in der guten Wohnstube und puhlte sich noch immer Wespen heraus. Aus den Haaren, aus den Socken, aus allen Öffnungen seiner Kleidung. Eine dieser unvergesslichen Erinnerungen, die man einfach nicht verbannen kann.
Die zweite Halbe im Schleusenkrug leert sich, belagert von Wespen, aber weiter als bis an den Glasrand hat es noch keine geschafft. Ist doch gut, wenn man aus den Erfahrungen anderer lernen kann.
(bk)
Abbildung: Per Harald Olsen / GNU