Wikileaks, Julian Assange und die Medien
Von Bernd Kling am 25. Oktober 2010
Das vorzeitige Ende eines Interviews
Wikileaks enthüllte am Wochenende mit fast 400.000 Dokumenten noch mehr von der blutigen Wahrheit des Irak-Kriegs. Das irritiert Medien, die soviel Aufklärung weder leisten konnten noch wollten. Sie stellen lieber persönliche Fragen.
Reden wir lieber von Schweden
Wie etwa Atika Shubert, die es in einem CNN-Interview versuchte. Weit kam sie damit allerdings nicht. Als es wieder einmal um Sexabenteuer in Schweden und ungeklärte juristische Probleme gehen sollte, verlor Assange die Geduld: „In diesem Interview geht es um etwas anderes. Ich werde gehen, wenn Sie unsere Enthüllungen über den Tod von 104.000 Menschen mit persönlichen Angriffen gegen mich verquirlen.“
Er kündigte seinen Abgang mehrmals an. Nachdem die Interviewerin weiter dabei blieb, erklärte er diese Fragen nach seinem Privatleben als „absolut widerlich“. Stand auf und ging, ließ eine sichtlich überraschte Fragestellerin zurück.
Diva oder Blitzableiter von Wikileaks?
Das Gossip-Blog Gawker ernannte Julian Assange daraufhin zur „Diva“ von Wikileaks. Er selbst hatte sich zu Beginn des Interviews als „Blitzableiter“ der Organisation dargestellt: „Es ist meine Rolle, der Blitzableiter zu sein, Angriffe gegen unsere Organisation anzuziehen, gegen unsere Arbeit. Das ist eine schwierige Rolle, aber auf der anderen Seite bekomme ich auch die Verdienste anderer zugeschrieben.“
Ein ganz anderes Bild von Assange zeichnet eine Kolportage der New York Times. Hier erscheint Assange wie ein Gejagter, der laufend Namen, Haarfarbe und Handys wechselt und keinen Tag am gleichen Ort übernachtet. Die Reporter trafen ihn an einem relativ sicheren öffentlichen Ort: „In einem lärmigen äthiopischen Restaurant in Paddington, einem heruntergekommenen Bezirk Londons, hebt er seine Stimme kaum über ein Flüstern, um die westlichen Geheimdienste zu täuschen, die er fürchtet.“
„Wikileaks-Gründer auf der Flucht, verfolgt von seiner Prominenz“
Laut Times sieht er die nächsten Wochen nach der Veröffentlichung von 391.832 geheimen Dokumenten aus dem Irak-Krieg als seine gefährlichsten an. Zu diesem Gespräch beim sonntäglichen Essen sei Assange mit jugendlichem Gefolge erschienen einschließlich einem Filmemacher mit der Aufgabe, „eventuelle unangenehme Überraschungen zu dokumentieren“.
In diesem Auf-der-Flucht-Stil geht es weiter: „Als er das Londoner Restaurant während der Dämmerung verließ und in den Schatten strebte, wollte er nicht verraten, wohin er ging. Der Mann, der einige der mächtigsten Institutionen der Welt auf seine Beobachtungsliste gesetzt hat, ist auf dem Weg, wieder einmal.“
Die Prosa von Journalisten, die wie alle anderen davon träumen, einmal einen großen Thriller für die Bestsellerlisten zu schreiben?
Screenshot: CNN / YouTube
(zuerst veröffentlicht in TecZilla)